Vor mehr als 100.000 Jahren stand Wildfleisch ganz oben auf dem Speiseplan der europäischen Neandertaler. Neben Rotwild, Wildschweinen, Pferden und Bisons gehörten auch imposante Großtiere zu ihrer Beute – darunter gigantische Elefanten. Archäologische Funde belegen, dass Neandertaler in koordinierten Gruppen sogar Jagd auf diese kolossalen Tiere machten.
Lebensräume für zahlreiche andere Arten
Eine besonders beeindruckende Spezies war der Waldelefant (Palaeoloxodon antiquus), der bis vor etwa 33.000 Jahren durch Europa streifte. Mit bis zu vier Metern Schulterhöhe und einem Gewicht von über zehn Tonnen war er selbst dem Afrikanischen Elefanten an Größe überlegen – und übertraf sogar das Wollhaarmammut. Damit zählt er zu den größten bekannten Rüsseltieren der Erdgeschichte. Über einen Zeitraum von rund 700.000 Jahren prägte er die europäischen Landschaften, ehe er am Ende der letzten Eiszeit ausstarb. Einige zwergwüchsige Vertreter seiner Gattung überlebten vermutlich noch bis in die Jungsteinzeit auf Mittelmeerinseln.
Elefanten sind nicht nur beeindruckende Tiere – sie gelten auch als sogenannte „Ökosystemingenieure“. Ihre bloße Anwesenheit verändert die Umwelt: Sie entfernen Büsche, fällen kleinere Bäume und graben Wasserstellen. Dadurch schaffen sie Lebensräume für zahlreiche andere Arten. Dass auch der europäische Waldelefant auf diese Weise die Landschaft mitgestaltet hat, zeigt die Arbeit eines Forscherteams unter Leitung von Manuel Steinbauer.
Die Studie legt nahe, dass diese mächtigen Tiere wesentlich dazu beitrugen, offene bis halboffene Lebensräume in Europa zu erhalten – ein Prozess, der vielen heute noch existierenden Pflanzenarten zugutekam. Der Waldelefant trotzte mehreren Kälteperioden. Er verschwand vermutlich erst in der letzten Eiszeit, u. a. durch die zunehmende Bejagung durch den Menschen.
Um das ursprüngliche Lebensumfeld dieser ausgestorbenen Spezies zu rekonstruieren, durchsuchten Steinbauer und die Hauptautorin Franka Gaiser paläontologische Datenbanken sowie Fachliteratur. Die Fundorte wurden bestimmten Klimaabschnitten der Erdgeschichte, den sogenannten Marine Isotope Stages (MIS), zugeordnet. Diese Stufen dokumentieren über Sauerstoffisotope klimatische Veränderungen – etwa Warm- und Kaltzeiten.
Aussterben hatte tiefgreifende ökologische Konsequenzen
In Verbindung mit damaligen Klimamodellen konnten die Wissenschaftler so die „realisierte Nische“ des Waldelefanten ermitteln – also die tatsächlichen Umweltbedingungen, unter denen die Tiere lebten. Überraschend dabei: Diese Bedingungen ähneln dem heutigen Klima in großen Teilen Europas, insbesondere in West- und Mitteleuropa. Nur Hochgebirgsregionen wie die Alpen oder der Kaukasus boten wohl keinen geeigneten Lebensraum.
Die in der Fachzeitschrift Frontiers of Biogeography veröffentlichten Ergebnisse verdeutlichen laut den Forschenden, wie stark das Fehlen großer Pflanzenfresser heutige Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen kann. Viele Arten, die auf offene Landschaften angewiesen sind – etwa bestimmte Wiesenpflanzen oder Insekten –, entwickelten sich einst unter dem Einfluss solcher Megafauna. Ihr Aussterben hatte tiefgreifende ökologische Konsequenzen.
„Früher waren große Pflanzenfresser wie der Waldelefant und ihre Auswirkungen – etwa durch den Fraßdruck – ein fester Bestandteil der Umwelt“, erklärt Gaiser. „Viele Pflanzenarten, die offenes Gelände bevorzugen, konnten sich wahrscheinlich deshalb in Europa behaupten, weil sie von diesen tierischen Einflüssen profitierten.“
Die konventionelle Strategie im Naturschutz, möglichst unberührte Gebiete zu erhalten, stößt hier an ihre Grenzen. Ohne die ursprünglichen ökologischen Prozesse – etwa durch große Pflanzenfresser – können selbst geschützte Flächen aus dem Gleichgewicht geraten.
Aus diesem Grund setzen einige Naturschutzprojekte gezielt auf die Wiederansiedlung großer Weidetiere, z. B. Wisente oder Przewalski-Pferde. Solche Initiativen verfolgen das Ziel, natürliche Dynamiken wiederherzustellen und langfristig stabile, sich selbst regulierende Ökosysteme zu ermöglichen.