Mit Laserscans, Synchrotronstrahlen und virtuellen 3D-Modellen beginnt für die Paläontologie eine neue Ära. Technologien, die einst nur aus der Medizin oder Teilchenphysik bekannt waren, ermöglichen heute Einblicke in fossile Überreste, die zuvor jahrzehntelang unerforscht blieben. Zwei aktuelle Studien aus Großbritannien zeigen eindrucksvoll, wie digitale Bildgebung nicht nur vergessene Fossilien zum Leben erweckt, sondern sogar völlig neue Dinosaurierarten ans Licht bringt.
Ein Kiefer, der seit 1899 auf seine Entdeckung wartete
In den Archiven eines Museums bei Cardiff lag seit über einem Jahrhundert ein rätselhafter Gesteinsblock. Er enthielt keinen Knochen, sondern lediglich den natürlichen Abdruck eines Unterkiefers – innen und außen – mit 16 Zähnen. 1899 vage als „möglicherweise Dinosaurier“ eingeordnet, geriet das Fossil in Vergessenheit. Doch seine geologische Datierung machte es einzigartig: etwa 203 Millionen Jahre alt, aus der späten Trias, einer Zeit, in der fleischfressende Dinosaurier selten und in der Regel eher klein waren.
Mit der Methode der Photogrammetrie, einer Technik, bei der aus hunderten hochauflösenden Fotos ein dreidimensionales Modell entsteht, gelang nun erstmals eine berührungslose digitale Rekonstruktion des Kiefers. Das Modell offenbarte Details, die zuvor unsichtbar waren: Blutkanäle, Nervenbahnen und die charakteristisch gezackten Schneidekanten der Zähne.
Der Vergleich mit bekannten Gattungen führte zu einer wissenschaftlichen Sensation: Der Kiefer stammte von einem bislang unbekannten großen Raubdinosaurier – älter als der berühmte Dilophosaurus und deutlich größer als frühere triassische Fleischfresser. Die Forscher gaben ihm den Namen Newtonsaurus cambrensis, zu Ehren des britischen Paläontologen Edwin Tulley Newton. Mit einer geschätzten Länge von bis zu sieben Metern war er wahrscheinlich der Spitzenprädator seiner Zeit, ein urzeitlicher Herrscher über das südliche Wales.
Hightech aus der Teilchenphysik enthüllt winziges Raubtier
Noch spektakulärer war der zweite Fall: ein gerade einmal fingerlanges Reptil aus der mittleren Trias, gefunden in Devon. Der Schädel maß kaum einen Zentimeter, seine Zähne waren so fein, dass drei davon auf einen Millimeter passten, für das bloße Auge unsichtbar.
Erst ein Scan am Synchrotron in Grenoble, einem Teilchenbeschleuniger, der extrem energiereiches Licht erzeugt, machte jedes Detail sichtbar. Die Analysen ergaben, dass es sich um eine neue Gattung handelt, die auf Insekten spezialisiert war. Seine flachen, meißelartigen Zähne eigneten sich perfekt, um die Panzer schabenartiger Beutetiere aufzubrechen. Die Art erhielt den Namen Agriodontosaurus, der „sägezähnige Reptor“.
Revolution durch virtuelle Paläontologie
Digitale Bildgebung hat die Fossilforschung grundlegend verändert. Moderne Mikro-CT-Scanner, Photogrammetrie und Synchrotronstrahlung ermöglichen:
- 3D-Modelle ohne Fossilien zu berühren
- Einblicke ins Innere von Knochen, Zähnen und Schalen
- Rekonstruktionen von Muskeln, Blutbahnen und Entwicklungsstadien
- Simulationen von Beißkraft und Knochenbelastung
Mittels Finite-Elemente-Analyse können Forscher heute berechnen, wie sich Schädel unter Druck verformen und so das Jagdverhalten ausgestorbener Arten rekonstruieren. Berühmt wurde dieses Verfahren bei der Analyse des Tyrannosaurus rex, dessen Kiefer Kräfte von bis zu 50.000 Newton entwickeln konnte. Genug, um Knochen wie Holzspäne zu zerbrechen.
Eine Wissenschaft erfindet sich neu
Was früher Hammer und Meißel waren, sind heute Laser, Photonen und Hochleistungssoftware. Die digitale Paläontologie öffnet Türen zu Fossilien, die bislang als „zu klein“, „zu beschädigt“ oder „unzugänglich“ galten. Sie ermöglicht es Museen, jahrhundertealte Fundstücke neu zu untersuchen und sie weltweit bereitzustellen, ganz ohne Transport oder Risiko.
Mit Newtonsaurus cambrensis und Agriodontosaurus beginnt ein Kapitel, das zeigt: Die größten Entdeckungen der Urzeit liegen nicht mehr im Boden, sondern im digitalen Raum.
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