Paläontologie: Der stille Niedergang der Haie begann bereits vor 45 Millionen Jahren

Eine neue Studie der Universität Wien korrigiert das Bild der unbesiegbaren Knorpelfische. Haie und Rochen erlebten ihren Artenreichtum bereits im Eozän und kämpfen seither gegen einen stetigen Biodiversitätsverlust – ein Trend, der durch den Menschen dramatisch beschleunigt wird.

Haie und Rochen gelten seit jeher als die großen Überlebenskünstler der Erdgeschichte. Seit rund 400 Millionen Jahren durchziehen diese Knorpelfische, die mehrere Massenaussterben überdauerten, die Ozeane. Bisher ging die Forschung davon aus, dass sie auch die letzte große Katastrophe vor 66 Millionen Jahren unbeschadet überstanden und ihre Vielfalt sogar ausbauen konnten.

Doch ein Wiener Forschungsteam um Manuel Staggl und Jürgen Kriwet vom Institut für Paläontologie der Universität Wien stellt diese Annahme nun infrage. Ihre im Fachjournal Scientific Reports veröffentlichte Analyse von über 50.000 Fossilien enthüllt einen alarmierenden Trend: Die Vielfalt von Haien und Rochen hat ihren Höhepunkt bereits vor rund 45 Millionen Jahren erreicht und verringert sich seither kontinuierlich.

Höhepunkt im späten Eozän

Die umfassende Datenanalyse verglich fossile Funde aus unterschiedlichen Epochen mit den damaligen Umweltbedingungen – von globalen Temperaturen über CO2-Konzentrationen bis hin zum Angebot an Lebensräumen.

Die Auswertung zeigt, dass Haie und Rochen den Asteroideneinschlag, der die Dinosaurier auslöschte, tatsächlich gut bewältigten. In der Folgezeit, dem späten Eozän (vor ca. 45 Millionen Jahren), steuerte ihre Artenvielfalt auf ein Allzeit-Hoch zu.

Der Schlüssel zu diesem einstigen Erfolg lag in günstigen Bedingungen: einem insgesamt wärmeren Klima und einer Fülle von ausgedehnten, flachen und küstennahen Meeresbereichen. „Je mehr unterschiedliche flache Meeresgebiete verfügbar waren, desto mehr Arten entwickelten sich“, erklärt Co-Autor Jürgen Kriwet.

Die Gefahren der Gegenwart

Diese Erkenntnis ist besonders besorgniserregend, denn genau diese kritischen Küstenökosysteme sind heute massiv bedroht. In den letzten Jahrmillionen kämpften die Knorpelfische gegen einen langsamen, natürlichen Rückgang. Doch mit dem Auftreten des Menschen und dem Beginn des anthropogenen Wandels gerät der Trend zur existenziellen Krise.

Die heutige Kombination aus extremer Überfischung, der zunehmenden Verbauung wichtiger Küstenzonen, massiver Verschmutzung und der rasant fortschreitenden Erhitzung der Meere setzt über ein Drittel der modernen Hai- und Rochenarten (Neoselachier) stärker zu als je zuvor.

Die Forscher untersuchten auch den Zusammenhang zwischen der Artenvielfalt und dem wichtigsten Treibhausgas. Historisch gesehen profitierten die Tiere von moderaten CO2-Werten, da diese das Wachstum von Algen und Seegraswiesen förderten und somit die Nahrungsketten stärkten.

Besonders kritisch sei die extreme Geschwindigkeit der aktuellen Umweltveränderungen, die den seit Langem auf der Erde weilenden Tieren kaum Anpassungsmöglichkeiten lasse. Die Studie sendet daher ein deutliches Signal an den Meeresschutz: „Meeresschutz bedeutet nicht nur Fischfangquoten – wir müssen die gesamten Lebensräume und das Klimasystem im Blick haben“, folgert Staggl.

„Kurz zusammengefasst: Moderate CO2-Werte waren in der Vergangenheit positiv für die Biodiversität von Haien und Rochen, zu hohe Werte jedoch schädlich“, so Studien-Erstautor Manuel Staggl. Dies unterstreiche die akute Gefahr der aktuellen Ozeanversauerung, die durch den menschengemachten Klimawandel verursacht wird.

Sladjan Lazic

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