Die vergessene Fossilienjägerin: Marcel Barelli erweckt Paläontologie-Pionierin Mary Anning zum Leben

Lange Zeit war Mary Anning nur in Fachkreisen bekannt. Nun widmet der Schweizer Animationsfilmemacher Marcel Barelli der jungen Britin, deren Funde die moderne Paläontologie begründeten, seinen ersten Langspielfilm. Ein Gespräch über historische Fakten, Punk-Rock und die Inspiration durch die eigenen Kinder.

Der neue Animationsfilm «Mary Anning, Fossilienjägerin» entführt das Publikum in das Jahr 1811 an die steile Südküste Englands. Im Zentrum steht die zwölfjährige Mary Anning, die, anstatt mit Gleichaltrigen zu spielen, tagtäglich die Klippen nach versteinerten Überresten absucht. Diese Tätigkeit war für die junge Frau keine romantische Freizeitbeschäftigung, sondern harte Arbeit und die Notwendigkeit, ihre nach dem frühen Tod des Vaters verarmte Familie zu ernähren.

Es war ihr handfester Erfolg – der spektakuläre Fund des ersten fast vollständigen Skeletts eines Fischsauriers (Ichthyosaurus) –, der Mary Anning zu einer der Gründungsfiguren der modernen Paläontologie machte. Ihre späteren Entdeckungen lieferten den unwiderlegbaren Beweis für prähistorisches Leben und stellten die damaligen wissenschaftlichen und religiösen Dogmen infrage.

Die Geschichte einer Unbekannten

Obwohl Anning eine Schlüsselfigur der Wissenschaftsgeschichte ist, blieb sie der breiten Öffentlichkeit stets verborgen. Genau das wollte Regisseur Marcel Barelli ändern, wie er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA erklärte. Barelli, selbst seit Kindertagen Paläontologie-Fan, kannte Anning aus Fachbüchern. Sein Ziel war es, „die Geschichte einer wenig bekannten Persönlichkeit zu erzählen, deren Eigenschaften uns auch heute noch etwas sagen, und deren Geschichte stark ist.“

Der in Genf lebende Tessiner, der sich mit früheren Kurzfilmen wie «Dans la nature» (ausgezeichnet mit dem Schweizer Filmpreis 2022) als Experte für die Beziehung zwischen Mensch und Natur etablierte, legt auch bei seinem Spielfilmdebüt Wert auf eine fundierte Basis. Obwohl der Film Anning durch ihr zwölftes Lebensjahr begleitet und fiktionale Freiheiten nimmt, basieren die wesentlichen Handlungsstränge und Figuren auf gründlicher Recherche. „Es war wichtig, dass das, was ich erzähle, wahr ist“, betont Barelli.

Punk-Rock statt historische Flöte

Ein wichtiger Aspekt des Films ist die unkonventionelle Darstellung der Protagonistin, die als eigensinniges Mädchen die gesellschaftlichen Normen des frühen 19. Jahrhunderts ignoriert. Dieser Gegenkultur-Aspekt wird nicht nur im Drehbuch, sondern auch akustisch unterstrichen.

Bewusst entschied sich Barelli gegen historische Musik. Stattdessen wählte er Punk-Rock von Shyle Zalewski für den Soundtrack. „Ich wollte von Anfang an keine historische Musik, sondern etwas, das Marys gegenkulturellen Charakter übersetzt“, erklärt der Regisseur. Er räumt ein, dass die Wahl polarisiere: „Ich habe sehr wohl bemerkt, dass die Musik die Gemüter spaltet.“

Die Charaktere selbst sind Barellis Privatleben entlehnt: Die Protagonistin Mary ist dem mürrischen Charakter seiner 13-jährigen Tochter nachempfunden, während der neugierige Henry, um den sich Mary widerwillig kümmern muss, sprechend Barellis zehnjährigem Sohn ähnelt.

Obwohl der Film, der sich an Kinder ab sechs Jahren richtet, auch schwierige Themen wie den Tod des Vaters und Mobbing behandelt, passte Barelli die Erzählung in Form einer „Art Schatzsuche“ dem jungen Publikum an. Er betont jedoch, dass der Kinderfilm im Allgemeinen das Potenzial habe, „alle ansprechen kann, Erwachsene und Kinder gleichermassen.“

«Mary Anning, Fossilienjägerin» feierte im vergangenen Juni seine Weltpremiere in Annecy und wurde kürzlich beim Locarno Film Festival mit dem Locarno Kids Award 2025 ausgezeichnet.

Marcel Barelli: Der Filmemacher. Der 1985 im Tessin geborene Marcel Barelli lebt und arbeitet seit zwanzig Jahren in Genf. Seine Kurzfilme, darunter «Habitat» (2016) und «Vigia» (2013), setzen sich häufig mit ökologischer Nachhaltigkeit und der Beziehung zwischen Mensch und Natur auseinander. Für seinen Spielfilm «Mary Anning» vertraute er die grafische Gestaltung Marjolaine Perreten an, da er ihren runden, aquarellartigen Stil als passender empfand als seinen eigenen, „etwas zu cartoonhaften und naiven“ Stil.

Sladjan Lazic

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