Ein neues Fossil aus Montana sorgt in der Welt der Paläontologie für Aufsehen: Eine umfassende Studie hat die langjährige Debatte um den sogenannten „jugendlichen Tyrannosaurus rex“ entschieden. Das Ergebnis: Die vermeintlich jungen Exemplare gehören nicht zur Familie des berühmten Raubdinosauriers – sie sind Vertreter einer eigenen Gattung, Nanotyrannus.
Ein Fund, der die Tyrannosaurier-Geschichte umschreibt
Mitten in den Badlands von Montana wurde ein außergewöhnlich gut erhaltenes Tyrannosaurier-Skelett entdeckt. Was zunächst als weiterer „Teenager-T. rex“ galt, entpuppte sich nach intensiver Analyse als erwachsener Vertreter einer bislang umstrittenen Gattung. In der Fachzeitschrift Nature präsentieren Forschende Belege, dass sich das Tier in nahezu jedem Knochen deutlich vom Tyrannosaurus rex unterscheidet.
Feinste Unterschiede in Schädelstruktur, Nervenbahnen und Gliedmaßen verraten: Dieses Tier war kein Jungtier, sondern ein ausgewachsenes Exemplar. Damit fällt eine der hartnäckigsten Theorien der Paläontologie – die Annahme, dass die kleineren Tyrannosaurier lediglich unreife T. rex waren.
„Die Beweislast war schon immer vorhanden, aber jetzt ist sie erdrückend“, sagt der britische Paläontologe Nicholas Longrich. „Dieses Exemplar unterscheidet sich in fast jedem Knochen seines Körpers vom T. rex.“
Nanotyrannus: Vom Tabuthema zur anerkannten Art
Der Name Nanotyrannus ist in der Wissenschaftsgeschichte ein Reizwort. Seit seiner Erstbeschreibung 1946 durch den US-Paläontologen Charles Gilmore galt der „Zwerg-Tyrannosaurier“ als fragwürdige Klassifikation. Jahrzehntelang dominierte die Meinung, dass es sich lediglich um jugendliche T. rex handele – bis jetzt.
Die neue Untersuchung belegt nicht nur die Eigenständigkeit von Nanotyrannus, sondern legt auch nahe, dass es zwei verschiedene Arten innerhalb dieser Gattung gegeben haben könnte.
„Nanotyrannus ist real – und das zwingt uns, die Evolution der Tyrannosaurier völlig neu zu denken“, erklärt Steve Brusatte, Paläontologe an der University of Edinburgh.
Der Wendepunkt: Die „duellierenden Dinosaurier“
Das entscheidende Exemplar stammt aus der sogenannten „Duelling Dinosaurs“-Fundstelle, die 2021 vom North Carolina Museum of Natural Sciences erworben wurde. Die Fossilien – rund 30.000 Pfund Knochen und Gestein – zeigen einen Nanotyrannus und einen Triceratops, die offenbar im Kampf verendet sind.
Die detaillierte Untersuchung offenbarte mehrere Auffälligkeiten: So war die Hand des vermeintlich jungen T. rex größer als die eines ausgewachsenen T. rex – ein deutliches Zeichen, dass es sich nicht um dasselbe Tier handeln konnte.
Auch die Analyse der Wachstumsringe in den Knochen bestätigte, dass das Tier etwa 20 Jahre alt und ausgewachsen war. Es war also kein Jungtier – sondern eine kleine, wendige Raubtierart, die zur gleichen Zeit wie der gigantische T. rex lebte.
Der Fall „Jane“: Ein zweiter Nanotyrannus
Das Forschungsteam um Lindsay Zanno und James Napoli untersuchte daraufhin mehr als 120 bekannte Fossilien und stieß auf weitere Überraschungen. Das bekannte Skelett „Jane“, lange als jugendlicher T. rex angesehen, entpuppte sich als Vertreter einer zweiten Nanotyrannus-Art.
Sie erhielt den wissenschaftlichen Namen Nanotyrannus lethaeus – benannt nach dem mythologischen Fluss Lethe, dessen Wasser Vergessen bringt. „Ein passender Name für ein Tier, das jahrzehntelang direkt vor unseren Augen verborgen blieb“, so Zanno.
Nicht alle Forschenden sind überzeugt. Der US-Paläontologe Thomas Carr, der lange argumentierte, Nanotyrannus sei ein junger T. rex, erkennt nun immerhin an, dass das neue Exemplar eine eigene Spezies darstellt. Doch er bleibt skeptisch, ob es sich bei „Jane“ um eine zweite Art handelt.
„Wissenschaft bedeutet, dass man bereit ist, seine Überzeugungen aufzugeben, wenn neue Beweise auftauchen“, sagt Carr. „Ich dachte, wir hätten die Antwort – aber offenbar wissen wir noch sehr wenig über die Evolution der Tyrannosaurier.“
Warum der Streit so lange andauerte
Ein Grund für die jahrzehntelange Unsicherheit: Viele Fossilien junger T. rex befinden sich in Privatbesitz und sind der Forschung nicht zugänglich. Dadurch fehlten wichtige Vergleichsproben. Zudem war das Thema in der akademischen Paläontologie politisch aufgeladen – Befürworter des Nanotyrannus-Konzepts galten oft als Außenseiter.
„Einige meiner Kollegen machten sich sogar online über uns lustig“, erinnert sich Peter Larson, der seit den 1990er-Jahren an die Existenz des Nanotyrannus glaubte. „Jetzt scheint sich das Blatt gewendet zu haben.“
Ein neuer Blick auf die Kreidezeit
Sollten sich die neuen Ergebnisse bestätigen, bedeutet das: Vor 67 Millionen Jahren streiften mindestens zwei Tyrannosaurier-Arten durch die nordamerikanischen Ebenen – der massige, tonnenschwere Tyrannosaurus rex und der kleinere, schnelle Nanotyrannus.
„Nanotyrannus war vermutlich agiler und jagte andere Beute als der T. rex“, sagt Longrich. „Er war das Raubtier, das zwischen Velociraptor und T. rex stand – ein echter Jäger der mittleren Größe.“
Und während sich die Fachwelt noch sortiert, freut sich Longrich über den neuen Erkenntnisgewinn: „Das Schöne an der Wissenschaft ist, dass sie uns ständig daran erinnert, wie wenig wir wissen. Nanotyrannus ist echt – und er macht die Kreidezeit um einiges spannender.“
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